Vom Pressen und Papsten

Elias HirschlStadtbeschreiber Elias Hirschl

Vor ein paar Tagen hatte ich die Möglichkeit beim Talk „Reise nach Germania“ von Leon Enrique im Anarchistischen Buch- und Kulturzentrum Black Pigeon in der Nähe vom Dortmunder Hafen zuzuschauen.

Enrique hielt einen Vortrag über seine jahrelange Investigativ-Recherche in verschiedenen Studentenverbindungen und oder Burschenschaften. In lockerer Stimmung erzählt der junge Journalist von seinen Erlebnissen, untermalt mit einer Power-Point-Präsentationen und einer Menge Trigger-Warnungen. Denn das ganze Thema ist kein unbedingt leicht verdauliches.

Einen Hauptteil der Zeit geht es ums Kotzen, ums strategische Kotzen, oder Papsten, wie wir lernen. Wie das meiste andere im Burschenschaftlerkontext hat auch das Saufen unter den Burschis sein eigenes Fachvokabular. Ein Vokabular, dass sich Enrique über mehrere Monate angeeignet hatte, als er zu Studentenzeiten für einige Zeit in der solchen Studentenverbindung wohnte. Man lockt die jungen Männer mit billigen Mieten und einem Instant-Freundeskreis. Man zieht ein, zahlt 250 Euro für sein Zimmer und hat sofort Leute um sich, die jeden Abend mit einem Saufen gehen wollen. Was Enrique erzählt erinnert mich sofort an das Vorgehen der meisten Sekten, um neue Mitglieder anzuwerben. Das sogenannte Lovebombing, das sofortige Aufnehmen in einen intimen Freundschaftskreis. Zugegeben, es gibt ein paar Unterschiede zwischen Burschenschaften und Sekten. Man wird bei Burschenschaften nicht unbedingt gelovebombed. Dafür werden aber einige andere Strategien aus religiösen Kulten angewendet. Durch die engen Bande mit den anderen Burschenschaftlern wird man quasi von der Außenwelt abgeschnitten, erzählt Enrique. Man hat so gut wie keine Zeit mehr etwas mit anderen Leuten zu tun und es sind quasi immer andere Burschis da, die mit einem Saufen gehen wollen. Ja, es gibt einen richtigen Gruppendruck dazu oft und viel saufen zu gehen. Wenn man nicht mitgeht, gilt man nach einiger Zeit als Außenseiter, als jemand der seine Verpflichtungen gegenüber der Verbindung schleifen lässt. Wenn man sich notfalls im Zimmer einsperrt, erzählt Enrique, dann stellen die einem die Musik-Box einfach direkt vor die Tür. Und holy shit, das Saufen hat es in sich. Das Saufen scheint in Burschenschaften eher so etwas wie ein Sport zu sein, um seine Männlichkeit zu beweisen. Man säuft nicht, man „presst“, man kotzt auch nicht, sondern man „papstet“, die Kotze ist daher auch keine Kotze sondern das „Papstat“. Und ab und zu wird nicht nur ein Maßkrug geext, sondern ein ganzes Gemüsefach aus dem WG-Kühlschrank. Man kotzt dann nicht unbedingt, weil einem vom Alkohol schlecht wird, sagt Enrique. Also das schon auch, aber man kotzt auch einfach aus rein praktischen Gründen, weil ein Körper nicht so viel Flüssigkeit auf einmal aufnehmen kann. Auch er habe sich das regelrecht antrainiert.

Wir erfahren, dass es viele unterschiedliche Arten von Verbindungen gibt. Enrique selbst war in einer nicht-schlagenden Verbindung und auch in einer, die sich im Durschnitt eher von den tatsächlichen Neonazis distanziert hätte. Er selbst hat bei vier unterschiedlichen rechtsaußen-Burschenschaften versucht Mitglied zu werden, sei da aber von den meisten aufgrund seiner Hautfarbe abgelehnt worden, mal mehr, mal weniger direkt begründet. Die Verbindungen am rechten Rand sind alle Teil desselben Dachverbandes, der noch das Abstammungsprinzip führe, ein nicht exakt definiertes Ausschließen aller Menschen, die aus Sicht der betreffenden Burschenschaften nicht „deutsch“ genug sind.

Es sei wichtig zwischen den Burschenschaften zu differenzieren, sagt Enrique. Nicht, um sie verteidigen zu wollen, sondern um sie differenzierter und fundierter zu kritisieren. Es sei sinnlos alle gleichermaßen als Nazis zu bezeichnen, weil das das Problem mit den Burschenschaften auch viel zu vereinfacht darstellen würde. Es gäbe sehr wohl auch Verbindungen die sich zumindest formal von den Rechten distanzieren, und diese könne man eben auch aus genug anderen Gründen kritisieren. Denn auch bei den Verbindungen, die sich selbst nicht am rechten Rand sehen, gebe es extrem problematische Verhältnisse mit Autoritätshörigkeit, einem indirekt oder manchmal sogar direkt ausgeübten Druck zu Saufen, sowie mit Sexismus und übergriffigem Verhalten. „Wenn euch jemand in einer Verbindung mal freundlich die große Haustour zeigen will, dann lauft davon“, sagt Enrique.

Alles in allem: Sehr informativ, sehr heavy, aber mit viel Einfühlungsvermögen vorgetragen und insgesamt sehr zu empfehlen sich mal was von Leon Enrique anzuhören oder durchzulesen.

Texte über Enriques Burschenschaft-Erfahrungen gibt es hier: https://leonenriquemontero.net/projekte/germania.shtml

Auf Instagram ist er zum Beispiel unter @le0nenrique