Sonic Highway

Elias HirschlStadtbeschreiber Elias Hirschl

Mich verbindet schon länger eine seltsame Faszination mit einem gewissen Ort an einer deutschen Autobahn. Der Ort ist die Aussichtsplattform auf die A40 und aus Gründen auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, verbinde ich nur angenehme Erinnerungen an diesen Ort. Die Geschichte des Ortes ist nicht minder interessant. 2015 wurde die Gegend dort am Autobahnkreuz Bochum West (ich glaube zumindest, dass das so heißt) neu gebaut, also eine Straße wurde zur Autobahn ausgebaut und aus der überflüssigen Erde (den „Aushub“) die bei den Bauarbeiten übrig blieb, baute man ein paar künstliche Hügel, von denen man einen tollen Ausblick hat. Einen Ausblick auf: Autos. Autos so weit das Auge reicht. Und den besten Ausblick gibt es an der Aussichtsplattform auf die A40, die berühmtermaßen an die 60 000 Euro gekostet hat. Interessanterweise ist exakt neben der Aussichtsplattform ein noch größerer Hügel, von dem man einen weitaus besseren Ausblick auf die Autobahnen hat, aber naja da hat man eben nicht das Aussichtsplattform-Erlebnis.

Als bekennender Aussichtsplattform-Fanatiker bin ich deshalb regelrecht ausgeflippt als ich hörte, dass es exakt an diesem Autobahnabschnitt im Zuge des Dortmunder Favoriten-Festivals eine Musik-Performance des Künstlerinnen-Kollektivs MFK Bochum namens „Sonic Highway“ gibt. Das Kollektiv bestehend aus Katarína Marková, Franziska Schneeberger und Marlene Ruther organisierten eine Bustour vom Depot in Dortmund (einem tollen Kreativ-Ort mit Theater und Kino) direkt zur Autobahn.
Auch wenn ich nicht sicher bin, ob die Fahrt zur Performance schon Teil der Performance war (aber diese Unsicherheit darüber ob das Teil der Performance war, war vermutlich Teil der Performance), beginnt die Performance mit einer Art alternativen Touristenführung über die Autobahn. Franziska Schneeberger stellt sich dem Bus als Franzi vor. Wir fahren mit etwa 40 Personen, die eine freiwillige Spende als Eintritt gezahlt hatten, direkt zur Aussichtsplattform.
Auf dem Weg dahin erzählt Franzi: Sie ist Jahrgang 1990 und fährt gerne Auto. Im Bus gibt es leider keine Toiletten, aber an der Autobahn gibt’s dann ein paar Büsche. Bevor sie uns mehr erzählt, will sie uns jetzt erstmal ihr Lieblingslied vorspielen, dass sie auf dieser Strecke immer gerne hört. Sodann erschallt Highway to Hell in der exakt richtigen Lautstärke im Bus. Es wird übrigens mitgefilmt, sagt Franzi. Aber nur für Dokumentationszwecke, oder für einen Spielfilm, mal schauen.
Die Tour beginnt. Franzi sagt: Wenn Sie vorne aus dem Fenster schauen, sehen Sie Stau. Rechts von uns gibts auch schon die erste Panne. Wir stehen im Stau. Irgendwann kommen wir auf die A40. Franzi erzählt, ihr Fahrlehrer hat früher auch immer Highway to Hell im Auto laufen lassen. „Highway to Hell“, sagt Franzi. „Dat is einfach n Stimmungslied, dat macht Stimmung bei mir. Das is auch das Gefühl das ich vermitteln möchte.“
Sie erzählt von ihre Liebe zu Autos. Früher hatte sie einen silbernen Twingo, da konnte man das Dach aufmachen.
„Da links sehen Sie die große Aral-Tankstelle, da mit dem Förderturm, so Ruhrgebietsarchitektur.“ Die Tankstellen, sagt Franzi, sind in den Farben zwei verschiedener Fußballclubs gestrichen, als Zeichen der Versöhnung (Anmerkung des Autors: ich hab vergessen welche Clubs).
„Rechts sehen Sie eine kleinere ARAL-Tankstelle“, sagt Franzi. „Fahrt da nicht hin, da gibts gar nix zu erleben.“
Wenig später fahren wir am Gartencenter Augsburg vorbei. „Schaut euch diese Rosen an“, sagt Franzi. „Nächstes Jahr wird die die A40 auf 6 spuren ausgebaut. Dann wird die Rosenhecke abgesäbelt.“
Dann geht’s vorbei am Freudenberg: „Hier ist eine große Fleischerei, ein Burgerking und daneben der Club Rouge mit viel Platz zum Parken.“
Falls jemand Hunger oder Durst kriegt, gibt es eine Box mit Wasser, Obst und Müsliriegel zur kostenlosen Entnahme.
Als wir ankommen, regnet es in Strömen und wir gehen auf die Aussichtsplattform. Dort hören wir noch mehr Infos über die Entstehung dieser Gegend, der bereits erwähnte Ausbau 2015 etc. Danach gibt es ein Blockflötensolo der Eurovisionshymne, sowie ein Blockflötensolo von My heart will go on. (Anmerkung des Autors: ICH LIEBE ALLES DARAN).
Wir gehen zum nächsten und letzten Punkt der Performance und ziehen uns an einem Seil den extrem rutschig gewordenen Hügel gegenüber der Aussichtsplattform hoch. Am Gipfel werden wir begrüßt von ein paar Zelten die uns endlich vom Regen retten. Während wir einen großartigen Ausblick auf die Autos genießen können beginnt die Musikperformance. Die drei Kollektiv-Mitglieder werfen nacheinander hunderte verschiedene Midi-Controller und Effektpedale an und es folgt eine Art dadaistische aber extrem gut choreografierte 8-Bit-Musik-Performance, begleitet von aktivistischen und philosophischen Texten rund ums Thema Auto. Mal legt sich jemand in den verregneten Schlamm und macht pantomimisch mit einem unsichtbaren Gewehr Jagd auf Autos, mal liest jemand ein Manifest über eine post-auto-Zukunft vor. Nichts davon wirkt pathetisch. Nichts davon wirkt über die Maßen missionarisch. Es ist eine differenzierte künstlerische und unglaublich kreative Auseinandersetzung mit der leider zur Notwendigkeit gewordenen Ressource, sowie der Ware und des Fetisches „Auto“.
Am Ende der Performance sind alle im Publikum völlig unterkühlt und durchnässt, aber auch absolut begeistert. Gerne wieder 5/5 (die gleiche Bewertung die ich auf Google-Maps der Aussichtsplattform auf die A40 gegeben habe).
Sonic Highway läuft noch zweimal am 21. Und 23. September. Karten gibt’s online und sind quasi pay as you wish.
https://favoriten-festival.de/programm/sonic-highway/