SCHALLACKER

Judith KuckartStadtbeschreiberin Judith Kuckart

Heute haben Helge Schneider, John Lennon, Peter Maffay und Purcell Geburtstag.

Heute macht das Freibad Stockheide im Höschpark zu.

Heute ist der Sommer vorbei?

Einsamer Mann im Schwimmbad am 30.8.2020 um 10.55 Uhr

In diesem Jahr war es schwieriger als in den Jahren davor, hat der Bademeister soeben gesagt.

Wenn es ganz normal voll oder sehr voll ist, sind die Leute weniger aggressiv als wenn es nur wenige sind, die sich aber an Regeln halten müssen. Hoffentlich wird es nächstes Jahr wieder gemütlicher, hat er gesagt und ist mit seinem Desinfektionsmittel verschwunden. Erst als er ging, fiel mir auf, dass er aussah wie der Schauspieler Peter Kurth, – Typ gebeutelter Vater mit  schwierigen Familienverhältnissen, gegen die er anboxen muss.

Wer boxt, wird nicht verrückt.

Einsames Männerklo im Schwimmbad Stockheide

Früher war alles anders, habe ich soeben gedacht, als der Bademeister Kurth verschwunden war. Früher bin ich, wenn ich in langen Sommern auf langen Besuchen in Dortmund Hörde war, ins Schallaker gegangen.

Das Schallacker | © DLRG Ortsgruppe Hörde

Hier: Eine lange Fußnote zu diesem Ort mit schrägen Namen. Das Schallacker gibt es nicht mehr. Aber mein Freund J. hat sich sofort in das ehemalige Volksbad verliebt, als ich davon erzählte. Er hat sich besonders in die alte Liegewiese verliebt. Vom Winterberg aus ging man in Badelatschen ins Schallacker, habe ich ihm erzählt. Nahm man den Bus, hatte man eine Kugel Eis weniger. Gymnasiasten besuchten fast nie das Hörder Freibad. Es war reserviert für Proleten, und Gymnasiasten waren womöglich nicht empfänglich für den Zauber von unendlich trägen Sommernachmittagen, in denen alles, was die Menschen sonst zu Hause machen, auf einem Badetuch stattfand. Kreuzworträtsel lösen, Pickel ausdrücken, Bier trinken, hartgekochte Eier und Chips essen, streiten und Kinder machen, Kinder wickeln, und das alles auf der eigenen akustischen Insel, die vom Transistorradio beherrscht wurde. Ja, am Strand vom Schallaker war allerhand los.

Schallacker 1978 | © mein-hoerde.de.tl

Das Schallacker war mit Wasser gespeist, das bei der Metallverhüttung entstand.  Die Hochofenschlacke wurde in Wasser abgeschreckt und es nahm dabei aus der Schlacke den Schwefel und andere Mineralien an. So lud es sich mit einer ähnlich heilende Wirkung auf und wie sie die heißen Quellen von Baden-Baden besitzen. Und Baden-Baden war lange Zeit für die Hörder so etwas  wie die Riviera. Fremd, mondän und weit weg.

Und die alte Liegewiese?

Im Juli 1934 begann man mit dem Bau einer Hörder Badeanstalt und dem Einsäen der Liegewiese. Nur freiwillige Arbeiter, die zum Sport- und Turnverein Hörde gehörten, waren dabei. Um die Heilkraft des Schwefelwassers noch besser nutzen zu können, wurden vier Wannenbäder mit angeschlossenen Ruheräumen errichtet, wie in Baden-Baden. Ab April und ab sechs Uhr in der Früh konnte man das „Schallacker“ besuchen. Das Wasser war lauwarm, also wenig erfrischend, aber entspannend.  1993 hat die Stadt Dortmund den Zuschuss für die hoescheigenen Sportanlagen gestrichen. Auch das „Schallacker“ sollte geschlossen werden, – dieses etwas schäbige Paradies, an das so viele Hörder  Erinnerungen knüpften. Und jetzt kommen wir gleich zur alten Liegewiese. Im Juli 1993 wurde ein Verein gegründet, um das Schallacker-Freibad zu retten. Freiwillige brachten es auf eigene Kosten auf Vordermann, es wurde verputzt, geschrubbt, geölt und bemalt. Trotzdem, das Bad blieb geschlossen. Die städtischen Auflagen waren nicht erfüllt worden. Dabei – wer weiß – war unter denen, die ablehnten, sogar einer, der auf der Liegewiese im Schallacker entstanden war? Auf jener Wiese, auf der noch heute mein Freund J. zu liegen glaubt, wenn ich davon erzähle, und die er vermisst, ohne je dort gewesen zu sein.