Norden, Süden, Westen und Westen

Elias HirschlStadtbeschreiber Elias Hirschl

Na dann sag ich mal servus Dortmund, als Mensch der noch nie außerhalb Wiens gewohnt hat, mit der Ausnahme von vielleicht 1 bis 2 Monaten Schreib- und Auftrittsaufenthalt im Ausland, und dann direkt ins Zentrum der deutschen Industriekultur: Ruhrgebiet, Dortmund. Während ich diesen Eintrag hier schreibe sitze ich schon wieder im Zug, weil ich für einen Termin noch einmal nach Wien zurückmusste. Jetzt fahre ich mit dem Rest meines Gepäcks im bequemen 11-Stunden-Zug (13 bei Passkontrolle in Passau) wieder nach Dortmund rauf. Erst nach fünf Stunden habe ich bemerkt, dass der Mann an meinem Vierersitz gegenüber von mir Masken- und Impfgegner ist und versuche nun konzentriert ein Gespräch mit ihm zu vermeiden, das er mit den Worten „Es geht nur noch ums gehorchen, oder?“ eröffnen wollte. Generell eine seltsame Zeit um den Lebensmittelpunkt zu wechseln. Vor wenigen Wochen gab es noch Online-Einreiseanmeldungen, die man jedes Mal ausfüllen musste, wenn man zwischen Österreich und Deutschland hin und her wollte. Dann wurden die abgeschafft, weil Österreich nicht mehr als Varianten-Risikogebiet galt. Nicht, weil sich in Österreich irgendetwas verbessert hätte, sondern weil Deutschland inzwischen eben auch Varianten-Risikogebiet war. Überhaupt ein weitverbreitetes Phänomen: Irgendwas Furchtbares passiert in Österreich und Deutschland macht es dann wenig später nach. Zumindest ein Punkt wo wir Trendsetter sind. Jetzt haben sich die Varianten-Risiken beider Länder jedenfalls einander angeglichen, wie zwei Kammern mit unterschiedlich temperierten Luftschichten, oder Kaffee in den man Milch gießt, oder Kotze und Urin die sich im RE1 nach 2 Uhr nachts an einem Wochenende mit Fußballspiel langsam vermischen etc.

Was tue ich hier eigentlich, außer mir schlechte Metaphern auszudenken? Nicht viel, also in der Tat ist mein Job hier, Metaphern von unterschiedlicher Qualität herzustellen. Dazu bin ich hier. Ich arbeite an einem Romanmanuskript zum Thema Strukturwandel vom Industriellen hin zum Digitalen. Ich recherchiere, ich sammle, ich lese, schreibe, korrigiere, habe einen Nervenzusammenbruch, lösche alles, schreibe etwas Neues, das übliche Autorenleben halt. In den kommenden Tagen habe ich bereits die ersten Lesungen in Dortmund und für August, September und Oktober sind dann noch drei verschiedene Themenabende in Planung, für die ich verschiedene Autor:innen ins Literaturhaus Dortmund einladen darf. Derzeit versuche ich mich aber einfach erst noch einzuleben. Bislang gab es etwa zwei Tage an denen ich tatsächlich in Ruhe zum Metaphern-Manufakturieren gekommen bin. Drei Tage war ich krank und den Rest der Zeit bin ich durch mein Viertel spaziert, habe mich akklimatisiert in den kleinen, schattigen Alleen um meine Künstlerwohnung herum. Inzwischen habe ich meine Supermärkte und Kioske beisammen. Noch eine Woche, dann habe ich auch meine Cafés. Noch eine, dann hab ich einen Überblick über die Kneipen und Konzertlocations (bisher nur ein denkwürdiger Abend an dem ich irgendwie im Junkyard beim Konzert der eigentümlichen Italo-Schlager-Coverband Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys samt Vorband Tropikel Ltd gelandet bin) und spätestens in Woche No. 5 widme ich mich dann endlich mal den Museen, Zechen, Friedhöfen und Schwimmbädern.

Norden, Süden, Westen …
… und Westen

Mein bisheriger Lieblingsfunfact über Dortmund ist, dass es (zumindest laut Google Maps) vier Schwimmbäder gibt, die nach Himmelsrichtungen benannt sind: Da gibt es zum einen das Nordbad im Norden, das Südbad im Süden, das Westbad im Westen und (Achtung!) ein ZWEITES WESTBAD IM OSTEN! Als absolut nicht hier aufgewachsener Mensch verbiete ich mir an dieser Stelle jegliche Ost/West-Witze. So macht man sich in Deutschland beliebt als Zugezogener: erst einmal einen Haufen Vergleiche und Metaphern über Ostdeutschland VS Westdeutschland. Richtig sympathisch. Fast so sympathisch wie das Schalke-04-Feuerzeug, das ich aus irgendeinem Grund in meiner Jackentasche hatte und nun mit nach Dortmund übersiedelt habe. Ich bin kein Schalke-04-Fan, ich bin überhaupt kein Fan irgendeines Fußball-Clubs, dazu fehlt es mir an Informationen und Gründen. Ich weiß nicht einmal wie ich in Besitz dieses Schalke-04-Feuerzeugs gekommen bin. Man sagte mir nur, ich solle mich hier nicht damit erwischen lassen. Ich weiß ja nicht einmal ob es sich bei der „04“ im Namen Schalke-04 um die Jahreszahl 2004 oder 1904 handelt, oder ob es mindestens vier verschiedene Schalkes gibt, die man einfach irgendwann durchnummeriert hat Schalke-01, Schalke-02, Schalke-03, Schalke-04 etc. Ich kenne auch niemanden der Schalke-04-Fan ist. Keine Ahnung wo dieses Feuerzeug hergekommen ist. Man kauft Feuerzeuge ja nicht, man findet sie einfach am nächsten Morgen in einer Jackentasche. So entstehen Feuerzeuge, sie materialisieren sich einfach plötzlich, wenn man eine Zigarette anzünden will. Manchmal wechseln sie ihre Farbe und Form und ihre Aufschrift. Wer weiß, morgen ist vielleicht ein BVB-Feuerzeug in der Tasche, oder eines vom ÖVP-Bauernbund-Jahrestreffen in Wels 2007. Mal schauen.

Der Impfgegner im Vierersitz gegenüber von mir ist jedenfalls immer noch da, während ich das hier schreibe. Es ist nicht die aufregendste Zugbegegnung in letzter Zeit. Das waren eher die bereits angeteaserten Fußballfans im RE1 um 2 Uhr nachts zwischen Köln und Dortmund, nachdem irgendwer gegen irgendwen aus Gelsenkirchen gewonnen hat. Man teilte mir mit, es sei eine Art Einweihung meines Umzugs, der RE1 nach Mitternacht an einem Wochenende mit Fußballspiel. Samt Urin und Kotze die sich je nach Kurvenlage und Beschleunigung nach Norden, Süden, Westen und Westen im Waggon ausbreiteten.

So, jetzt hat sich der Impfgegner gegenüber von mir von seinem Sitz wegbegeben und redet auf eine Familienmutter ein, wieso sie ihre Kinder mit den Masken quäle. Ich glaube ich muss da doch eventuell mal einschreiten.

Elias Hirschl, 10.5.2022