HÖRDE 2020: Der neue Raum

Judith KuckartStadtbeschreiberin Judith Kuckart

DER NEUE RAUM

In welchen Heimaten leben wir jetzt?

Vor zwei Jahren war ich wieder in Dortmund, wohnte bei meiner Cousine am Winterberg 72, ging auf den PEN Kongress und am Samstagnachmittag zum Freundschaftsspiel des BVB gegen den 1. FC Köln. Abends bummelten die Cousine und ich um den Phönix-See. Es gibt hier Probleme mit den Enten, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an. Den Weg zurück liefen wir durch ein paar Straßenzüge, die wie unter einer Zeitglocke neben den neuen Häusern rund um den Phönix See lagen – diesem neunen Wohnort ohne Seele, diesem schönsten Ausflugsziel in Dortmund?

Was denn nun?

Schon klar, die Stadt hat sich extrem verändert. Ich erinnere mich an das Früher, staune und bin neugierig auf das Jetzt. Der  Produktionsort der Montanindustrie wird zu einem Zentrum für Arbeitsforschung und Dienstleistung für Biomedizin, Logistik, Informationstechnologie, sowie Mikro- und Nanotechnologie.

Dortmunds Geschichte hat schon immer von Verwandlungen erzählt, in denen alchemistisch-magischen Vorstellungen weiterlebten: Materie lässt sich verwandeln in eine andere, etwas Unreines kann etwas Reines werden, etwas unterirdisch Erkaltetes kann oben auf der Erde leuchten, glühen, brennen, wärmen.  Denn was lehrt die Geschichte des Ruhrbergbaus anderes, als dass sich aus Kohle sehr wohl Gold machen lässt?

Was wird uns die Zukunft minus Kohle lehren? Welche Verwandlungen stehen jetzt an?

Mit meiner Cousine sitze ich in dieser Stadt am Sonntag mit einer Tasse Filterkaffee auf den Stufen zur Veranda, wo früher die zwei Onkel saßen, die am  Hochofen arbeiteten.

Hier sitzt niemand mehr auf den Stufen, sagt die Cousine. Ihre türkischen Nachbarn kommen vorbei und grüßen.

Eine Woche später, wieder Sonntag, kommt eine Email: Sitze wieder mit Kaffee auf den Stufen und die Erdogans nebenan sitzen auch dort, trinken auch Kaffee. Am Fenster gegenüber scheint die alte Frau Hackbarth zu überlegen, ob sie nicht auch mit Kaffee rauskommt.