Gut Lack

Elias HirschlStadtbeschreiber Elias Hirschl

Als Autor vertieft man sich ja oft in Themenfelder, zu denen man sonst eigentlich relativ wenig Bezug hat. Man recherchiert ein paar Monate darin, häuft sich so ein Halbwissen an, gerade genug, um in einem Roman so tun zu können, als hätte man tatsächlich Ahnung von etwas. David Foster Wallace hat einmal geschrieben, man soll ein Thema so tief recherchieren, dass man einem Sitznachbar auf einem Kurzstreckenflug glaubhaft machen könnte, man würde tatsächlich den Beruf ausüben, den man recherchiert hat.

Aus dieser Grundeinstellung heraus interessiere ich mich deshalb vor allem für die Fachjargons seltsamer Nischenbereiche, weil man mit wenigen Dingen besser eine Geschichte erzählen kann, als mit den Spezialausdrücken obskurer Berufsfelder und Milieus. Was sich hierfür besonders gut zum Recherchieren eignet sind kleine Nischen-Museen.

Jetzt hat aber jede Stadt seine seltsamen Nischen-Museen. Und manche davon sind geradezu absichtlich darauf ausgelegt, dass junge Hippster dort ironisch hingehen, etwa das Disgusting-Food-Museum in Berlin. Dort war ich zwar noch nicht, und es ist sicher auch nicht schlecht, aber es schreit eben schon geradezu: „Schau! Schau, was für ein verrücktes Museum ich bin! So verrückt lol!“, oder das Foltermuseum in Wien „Oh schau, lol Folter, und sogar im Mittelalter, so verrückt.“

Nein, von derartigen absichtlich kuriosen Museen ist hier nicht die Rede, denn sie bieten nicht die Menge an völlig nutzlosem, absolut großartigem Fachjargon nachdem es den Fachjargon-Liebhaber gelüstet.

Ein Museum, dass diesen Zweck jedoch voll und ganz erfüllt ist das Deutsche Industrielack-Museum Dortmund.

Interessieren Sie sich für Fassaden-Anstriche? Für den Lack auf Illustrierten, Cola- und Deo-Dosen? Tja, dann sind sie hier falsch und denken noch nicht nischig genug! Gehen Sie lieber ins Bautenfarben-Museum oder ins Verpackungslacke-Museum, denn im DIM spezialisiert man sich ausschließlich auf die Unterkategorie des Industrielacks! Hier geht es ausschließlich um Lack für Maschinen, Autos, Schiffe und Möbel. So mag ich meine Nischen-Museen.

Uns begrüßt beim Eingang gleich einer der Betreiber des Museums Thomas Grüner. Er steigt aus seinem Auto, sagt uns, dass das Auto leider kaputt ist, öffnet die Kühlerhaube und holt verärgert eine Trompete heraus, sagt: „Na kein Wunder, dass das Ding nicht funktioniert!“ und wirft die Trompete gegen eine Wand. Das ist wirklich passiert. Das ist wirklich passiert!

Das Museum wird betrieben von der Lack-Manufaktur (Manufaktur! Keine Fabrik!) „Kaddi-Lack“. Guter Wortwitz 10/10, kann mich nicht beschweren. Ich hatte vorher schon Mailkontakt mit Herrn Grüner. Er beendet seine Emails immer mit „Gut Lack“. Ebenfalls guter Wortwitz 10/10. Auch waren er und sein Mitbetreiber Volker Bach so freundlich, uns extra aufzusperren, denn das DIM hat, obwohl es strenggenommen schon seit 2010 besteht (damals jedoch nur mit einem einzigen Raum) keine regulären Öffnungszeiten. Man kommt nur rein, wenn man sich vorher einen Termin ausmacht. Dafür schießen dem Betreiber dann die Lackfakten, Industriegeschichten und die eine oder andere politische Meinung nur so aus dem Mund, wie Kiesel aus einem Steinschlagmessgerät. Was das ist? Gut, dass Sie fragen! Ein Steinschlagmessgerät ist eine Maschine mit der Steine von unterschiedlicher Größe mit Druckluft auf Lackproben geschossen werden, um z.B. die Widerstandsfähigkeit von Lack auf Autoblech zu testen. NISCHENJARGON JAAAAA!

Das Museum ist klein aber detailreich eingerichtet. In einem Gang hängen jede Menge Rechnungen, Aktien und Bestellscheine, teils aus der DDR oder auch aus dem Dritten Reich. Eine Tafel verweist darauf, dass die Darstellungen aus der Nazi-Zeit nur zur Aufklärung und zur Abwehr von verfassungswidrigen Bestrebungen dienen. Lack hat die deutsche Geschichte schon lange begleitet.

Nebenan sind in einer Art Labor allerhand Chemikalien ausgestellt. Tausende Farbpigmente unterschiedlicher Hersteller. Manche die unter Schwarzlicht leuchten. Manche die von alleine leuchten. An einem Punkt meine ich, das Wort „Uranbeschichtung“ oder etwas ähnliches gehört zu haben und frage vorsichtig nach, ob die in der Finsternis grün schimmernde Kristallblume in einem Schaukasten radioaktiv ist. „Ein bisschen“, kommt es zurück. Wir nicken alle sichtlich beruhigt.

Wir erfahren viel über bleihaltige und bleifreie Beschichtungen, über die Neustreichung des Lanstroper Eis, über die Bemalung des Eifelturms und die von Bohrtürmen und Bohrinseln. Korrosions-unterbindender Lack, Anti-Freeze-Lack auf Flugzeugen und Regenschutz-Lack auf Windkraftanlagen.

In einem anderen Raum sind allerhand Mühlen ausgestellt, mit denen man die einzelnen Pigmente kleinmahlen kann. Die Mühlen lassen sich alle einschalten und machen unterschiedlich viel Lärm, je nachdem wie groß die Kugeln, Murmeln oder Perlen sind, die zum Mahlen verwendet werden. Herr Grüner erzählt, einer der Besucher habe mal gesagt, dass das ja gefährlich sei. Darauf habe er erwidert: „Ja.“

Ein weiteres wunderbares Wort aus dem Druck-Fachjargon, das wir lernen: „Klischee“ – eine Druckvorlage für ein Logo, ein Firmenlogo zum Beispiel, früher noch aus Kupfer herausgeätzt in einer sogenannten „Klischeeanstalt“. Klischeeanstalt! Ich liebe alles daran. Noch ein wunderschönes Wort: Jemand, der den Farbton feinjustiert ist ein sogenannter „Nuanceur“. Ich hoffe, ich schreibe das richtig, ich kann literally kein Wort Französisch. Da ich gerade dabei bin, hau ich jetzt einfach das ganze Best-of der Fachbegriffe raus! Weiter geht’s mit „Grindometer“, ein Messgerät zum Überprüfen wie ghyle ein grind ist, nein scherz, zum Überprüfen wie feinkörnig ein Pigment gemahlen ist. Es ist eine Art Metallplatte mit Rillen, die immer feiner werden und ab dem Punkt wo kein Pigmentpulver mehr in den Rillen hängen bleibt, weiß man wie feinkörnig es ist.

Gegen Ende der Ausstellung gibt es noch einen Farbtest. „Der Mensch hat kein Farbgedächtnis“, wiederholt Herr Grüner immer wieder und beweist das, indem er uns Farbschattierungen vorhält die die gleiche Farbe wie deutsche Briefkästen haben. In den kleinen Kacheln in denen er sie jedoch präsentiert, schaut die Farbe viel dunkler aus. „Farbe in kleinen Abschnitten wird vom menschlichen Auge immer schmutziger und dunkler wahrgenommen, als auf einer Fläche.“

Noch zwei Funfacts zum Ende des Textes: Grün wirkt beruhigend, so viel wusste ich auch schon. Aber was ich nicht wusste ist, dass Grün, vor allem der Farbton Reseda-Grün angeblich der Farbton ist, den man am ehesten noch wahrnimmt, kurz bevor man in Ohnmacht fällt. Weshalb die meisten Notausgangsschilder in Grün gehalten sind. Keine Ahnung ob das wirklich stimmt, though. Und noch etwas zum Thema Recycling: Nagellack ist so ziemlich der einzige handelsübliche Lack, der sich absolut problemlos reversieren lässt. Wenn man also so eine Dose mit Aceton und einem Schwamm drin hat und immer nur roten Nagellack verwendet, könnte man den Schlönz der sich in der Dose ansammelt irgendwann einfach in ein flaches Becken ausgießen, das Aceton verdunsten lassen, die trockene Farbe mit einem Lösemittel wieder flüssig machen (behaupte ich jetzt, ich kenn mich nicht aus, vielleicht braucht man ein anderes Additiv (uh noch ein Fachbegriff!)) und wiederverwenden.

So, jetzt aber auch wirklich genug, mein Hirn ist jetzt grundiert, isoliert, überlackiert und steinschlaggetestet.

Gut Lack!