Hui, eine aufregende Woche war das. Mittwoch beim Bildungswerk Vielfalt und deren Projekt „Das Wetter nach Corona“ vom Verein Kamerunischer Ingenieure und Informatiker (dazu bald mehr in einem eigenen Blogeintrag), Donnerstag beim Lokalradio 91,2, unter anderem mit so investigativen Fragen wie: „Was bringt das Stadtbeschreiberstipendium dem Bürger?“. Eine Frage auf die ich, harmoniebedürftig wie ich bin, sehr diplomatisch geantwortet hab: Ich mache Kooperationsprojekte, ich stelle die Stadt vor, ich schreibe an einem Roman etc, obwohl ich eigentlich auch ein bisschen sagen hätte wollen: Keine Ahnung, ist auch irgendwie egal, was es dem/der Bürger:in bringt, Kunst gehört einfach überall gefördert, das muss es einem Staat wert sein.
Am Freitag dann bei der Dortmund-Premiere vom Theaterstück „Nicht wie ihr“ im Fußballmuseum.
Zum Wetter nach Corona komme ich wie gesagt im nächsten Blogeintrag nochmal genauer, beginnen wir also beim Fußballmuseum. Gleich vorne weg: Es kann sein, dass ich mich in ein, zwei technischen Details hier irre, ich vertraue auf meine unsauber geschriebenen Notizen, die ich nach einer durchzechten Nacht zu entziffern versuche, mal schauen wie viel davon stimmt.
Die Basics: Tonio Schachinger ist ein Wiener Autor und hat einen Roman („Nicht wie ihr“) über den absolut fiktionalen und ganz sicher an keine reale Person des öffentlichen Lebens angelehnten Fußballer Ivo Trifunovic geschrieben. Der Roman ist 2019 bei Kremayr & Scheriau erschienen und international eingeschlagen, landete auf der Short List für den Deutschen Buchpreis. Einerseits weil es ein wirklich gutes, schlaues, trauriges, lustiges Buch ist, aber der Fußballaspekt ist natürlich in Deutschland auch nicht zu vernachlässigen. So wundert es nicht, dass das auf dem Roman basierende Drama vom Schauspielhaus Bochum jetzt durch alle möglichen Fußball-Locations in NRW tourt. Premiere war beim SG Wattenscheid 09, und die zweite Vorstellung dann als Gastspiel des Schauspielhaus Bochum direkt im Fußballmuseum, neben dem Dortmunder Hauptbahnhof.
Das Stück, unter der Regie von Malte Jelden, ist als verteilter Monolog bzw. Dialog mit drei Stimmen der Schauspielenden Anne Rietmeijer, Karin Moog und Konstantin Bühler angelegt. Es gibt keine klaren Rollen, alle spielen alle. Eine szenische Lesung sehr nah am Originaltext. Visuell spielt sich einiges im Kleinen ab, wie etwa die Kostüme: eine Art Dekonstruktion von klassischen Fußballdresses, wahlweise zerschnitten, als Crop Top oder in mehrere abnehmbare Stücke aufgeteilt.
Inhaltlich beschäftigt sich das Stück mit denselben Themen wie das Fußballmuseum auch. Henry Wahlig, Veranstaltungsmanager des Museums, betont in seiner Anmoderation vor allem: Das Museum hat nicht nur die wichtigen Pokale, Kleidungsstücke etc, wegen denen die Fans in Scharen hinlaufen, sondern setzt sich eben auch kritisch auseinander mit Themen wie Migration, Homophobie, Sexismus, Feminismus und Antisemitismus. Themen die eben auch schon so lange im Fußball stecken, wie Fußball existiert, und an die man sich schlagartig auch wieder erinnert, wenn Ivo Trifunovic im Stück als Teil eines Wutanfalls homophobe Beschimpfungen entschlüpfen. Auch das ist Fußball.
Zurück zum Stück: Ivo Trifunovic ist das vielversprechendste Nachwuchstalent der jüngeren österreichischen Fußballgeschichte und befindet sich kurz vor seinem absoluten Karrierezenit. Daneben geht es auch um seine anlaufende Affäre mit Mirna, seine Überforderung als Ehemann und Vater und den sich konstant aufbauenden Druck in ihm und um ihn herum, der sich bis zum Ende der Geschichte bis zur drohenden Explosion aufstaut.
Höhepunkt des Stücks ist die Halbzeitshow, in der Anne Rietmeijer ein auch im Buch vorkommendes Mixtape, das Mirna Ivo schenkt, als Medley-Sammlung mit Loop-Station und Keyboard live performt. Darunter auch eine absolut solide Haiyti-Immitation, mit dem Song Crime Life, aus dem, wie ich vermute, eventuell auch der Titel des Buchs entlehnt ist:
„Ich war früher nich‘ wie ihr, ey
Ihr habt mich so gemacht wie ihr, ey
Und jetzt mach ich Cash wie Gees, hey
Ich hab die Taschen voller Kies, ey
Ich bin geworden so wie ihr, ja ihr“
Anschließend eine Diskussionsrunde mit dem Autor Tonio Schachinger, dem Museumsdirektor Manuel Neukirchner, dem Chefintendanten vom Schauspielhaus Bochum Johan Simons, der Schauspielerin Karin Moog, und dem früheren Fußballer und Geschäftsführer vom Fußballmuseum Klaus Berding. Verlangt die Fußballkarriere den Sportler:innen zu viel ab? Bleibt überhaupt noch Zeit zu leben? Oder ist die Zeit auf dem Platz das echte Leben? Haben Autor:innen mehr Zeit sich ihre Leidenschaft einzuteilen? Ich folge dem Gespräch interessiert, werde aber die ganze Zeit die Vorstellung nicht los, das hier als Interview nach einem Fußballspiel zu betrachten: „Ja das war eine starke Performance, in der Mitte ordentlich durchgestartet, am Ende nochmal angezogen, das sind auch schwierige Bedingungen, wir haben einfach alles gegeben, da muss man einfach rein und durch, dran bleiben, drauf bleiben, einfach reingehen und durchziehen, danke“.
Wo und mit wem wir im Endeffekt dann noch in irgendeiner Hotelbar bis 3 Uhr Morgens gelandet sind werde ich verschweigen, nur so viel: Es wurde die lokale Brauerei-Wirtschaft unterstützt, also hat der Bürger an diesem Abend eventuell sogar auch etwas vom Stadtbeschreiberstipendium gehabt.