So jetzt aber. Seit knapp über einem Monat schieb ich es auf, diesen Text mal zu schreiben, aber es ist halt auch nicht einfach ein halbes Jahr zusammenzufassen, vor allem wenn man direkt nach diesem halben Jahr auf Tour geht. Jetzt hab ich mich aber endlich mal zusammenreißen können, auch weil ich es diese Woche endlich mal geschafft habe in das Deutsche Bergbaumuseum in Dortmunds Nachbarsadt zu gehen – ein Besuch, den ich seit über 7 Monate vor mir hergeschoben habe.
Ich weiß jetzt, dass es im Unter-Tagebau nicht nur sogenannte Grubenpferde gab, die man damals noch wie Gebrauchsgegenstände verschleißen ließ, um die Kohle zu transportieren (das letzte Grubenpferd, namens Tobias, wurde 1966 an die Oberfläche geholt und war eines der wenigen Grubenpferde, das tatsächlich noch einmal Tageslicht sehen konnten), sondern ebenfalls auch Mäuse und Ratten, die sich durch das Heu für die Pferde in den Bergbau einschleusten, wodurch es irgendwann notwendig war, auch Katzen in die Bergwerke mitzunehmen, sodass quasi eine kleine künstliche Mikrofauna unter Tage entstand. Ich weiß jetzt auch, dass man bis vor wenigen Jahrzehnten noch Neonröhren verwendete, die man mit Druckluft und einem Dynamo betrieb, um Funkenschlag durch elektrische Kabel und darauf folgende Kohlestaubexplosionen aka Schlagwetter zu vermeiden. Ich hab auch gelernt, dass es eine gar nicht so seltene Todesart war, auf dem Förderband einzuschlafen, das einen dann unwissentlich bis ins Kohlelager, den Bunker, trug, wo man ein paar hundert Meter abstürzen konnte und ein paar Tonnen Kohle gleich hinterher. Auch eine simulierte Seilfahrt, also einen Abstieg mit dem Förderkorb, samt Rütteln und Hitzesimulation hab ich jetzt hinter mir. Und das alles mit nur knapp über einem halben Jahr Verspätung. Ich will mich da auch gar nicht rausreden, dass ich das nicht früher gemacht hab, die Wahrheit ist einfach, ich bin wirklich ein sehr schlechter Tourist. Trotzdem, hier mal kurz ein Überblick: Was ist denn in dem halben Jahr Stadt(be)schreiber-Dasein so passiert?
Ein halbes Jahr ist gleichzeitig extrem viel Zeit um sie wo zu verbringen, wo man vorher noch nie gelebt hat, und gleichzeitig viel zu wenig Zeit, um einen Ort wirklich kennen zu lernen.
Fangen wir mal so an: Was habe ich überhaupt in Dortmund gemacht? Eine berechtigte Frage, die mir des Öfteren gestellt wurde. Ich war Stadtschreiber, bzw. im Falle von Dortmund „StadtBEschreiber“. Das Konzept gab es zwar auch mal im Mittelalter, dort war es dann tatsächlich so eine Art eher technischer Chronist des dörflichen Lebens, aber heutzutage ist damit eine bestimmte Form des Aufenthalts-Stipendium für Schriftsteller:innen gemeint.
Im Falle Dortmunds ist es ein von der Stadt Dortmund ausgeschriebenes Literaturstipendium, durch welches man ein halbes Jahr vor Ort an einem literarischen Projekt arbeiten kann, sich mit der hiesigen Literaturszene auseinandersetzen und auch ein paar Auftrite absolvieren und Veranstaltungen kuratieren.
In meinem Fall habe ich mich zum Beispiel mit einem Roman-Projekt dort beworben, das grob auf einer fiktionalisierten Version des Ruhrgebietes aufbaut. Darüber hinaus hab ich dann drei Abende im Literaturhaus Dortmund hosten dürfen, daraus sind entstanden: Ein Spoken Word-Abend mit Temye Tesfu und Miedya Mahmood, ein Abend zu digitaler Literatur mit Selina Seemann, Fabian Navarro und Julia Nakotte, bei der letztere tatsächlich als Hologramm auftrat (heilige Scheiße wie geil war des) und eine Lesung mit der Wiener Autorin Katherina Braschel. Nebenbei durfte ich auch diesen Blog hier betreiben, in dem zugegeben eher unregelmäig aber dafür umso euphorischere Artikel landeten, zu Themen wie der RE1 um Mitternacht, das Industrielackmuseum, sowie meiner Liebe zur Aussichtsplattform auf die Autobahn A40. All meine Lieblingsthemen an einem Ort vereint.
Das Problem an Stipendien dieser Art ist oft, dass vor allem das Projekt wegen dem ich ja eigentlich hierher gezogen bin, also der Roman, leider so eine lange Entwicklungszeit hat, dass er überhaupt erst ein bis zwei Jahre später erscheint, wenn der Aufenthalt leider schon längst abgeschlossen ist. Aber das ist gleichzeitig das wirklich schöne an solchen Kulturförderungen, dass man damit eben Projekte unterstützt, die lange dauern und die ohne diese langfristigen Recherchearbeiten wahrscheinlich gar nicht möglich wären. Weil sie von Zufallsgesprächen in Kneipen leben, von Menschen, die einen übers Internet anschreiben, weil sie einem noch dringend ein Buch übers Ruhrgebiet empfehlen wollten („Union der festen Hand“! Bestes Rechercherche-Buch, danke!) und allgemein von der Möglichkeit, die Atmosphäre eines Ortes über einen längeren Zeitraum aufnehmen zu können.
Dass ich den Ort am Anfang noch nicht so gut kannte, merkt man vor allem daran, dass ich mehrmals Städte als Teil des Ruhrgebiets bezeichnet habe, die definitiv nicht Teil des Ruhrgebiets sind (Düsseldorf?? Wuppertal??) und auch mein Einstiegsgespräch mit dem Bürgermeister Thomas Westphal wurde gleich mit einem Fettnäpfchen eröffnet, weil dieser mich mehrmals daraufhinweisen musste, dass Dortmund keine Kleinstadt ist, wie angeblich in meiner Bewerbung steht (in meiner Bewerbung war die Rede von einer fiktionalen Kleinstadt in der der Roman spielt, nicht von Dortmund, aber tbh jede Stadt unter einer Million Einwohner ist für mich eine Kleinstadt, da lass ich nicht mit mir diskutieren (lieb gemeint)).
Ich habe inzwischen alle Himmelsrichtungsbäder Dortmunds ausprobiert und kann sagen: Das Südbad eignet sich gut zum Längen schwimmen, das Nordbad gut, um etwas später noch hinzugehen, wenn das Südbad schon zu hat, und die beiden Westbäder kann man im Grunde vergessen (lieb gemeint).
Ich hab versucht den ungeheuerlichen Roman „TEXT“ vom Literaturkollektiv 2-3 Straßen zu lesen, der im Zuge vom Projekt Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas 2010 entstand und bin kläglich daran gescheitert.
Ich hab von den Ewigkeitsverträgen erfahren, die sicherstellen, dass die hohlgehauenen Untergründe dieser Gegend nicht vollends mit Wasser vollaufen und einstürzen, sodass bis in alle Ewigkeit das Wasser abgepumpt werden muss, von den Überlegungen verlassene Bergwerke als atomares Endlager zu nutzen, von großartigen bis fragwürdigen Bauprojekten. Ich weiß jetzt was ein Thomas-Konverter ist, wie Thomasmehl entsteht und wozu man es verwendet, ich habe ein neu erworbenes Faible für Kohle-, Lack- und vor allem Mehlstaubexplosionen und für alle Arten überdimensionaler, verrosteter Stahlgebilde und brutalistischer Neubauten.
Ich durfte auftreten im FZW, im Junkyard, im und vor dem U, im Rekorder, in der VHS, im Literaturcafe Taranta Babu, im Literaturhaus Dortmund und sogar vor dem Deutschen Fußballmuseum.
Ich bin an brutalistischen Gebäuden vorbei und hineingegangen und darin aufgetreten und unter dutzenden Alleen und in Friedhöfen spaziert, in Kulturcafés, Slams, Lesungen, Theatern, Kinos und Konzerten in Dortmund, Essen, Bochum, Oberhausen, Duisburg gewesen und kann aus erster Hand berichten, dass das Ruhrgebiet alles andere als grau ist. Ich war an anderen Orten und kann aus erster Hand berichten, dass das Ruhrgebiet allerdings sehr wohl auch SEHR GRAU sein kann (*hust* Phoenix-See *hust* (lieb gemeint)).
Ich bin öfter unfreiwillig in Massen an Fußballfans steckengeblieben als JEMALS in meinem Leben und habe trotzdem noch nicht den Glauben an die Menschheit verloren (zumindest nicht ganz).
Ich habe sicher ganz, ganz viel vergessen hier, aber irgendwann muss dieser Text ja auch mal fertig werden.
Zum Abschluss möchte ich mich bedanken bei allen, die diesen Aufenthalt in Dortmund ermöglicht und großartig gemacht haben: Beim Kulturbüro Dortmund, vor allem bei Isabel Pfarre, die wirklich bei jeder dummen Frage meinerseits sofort zur Stelle war, beim Literaturhaus Dortmund, vor allem bei Eike und Hartmut für die liebe Zusammenarbeit und lange Abende nach den Lesungen im Hinterhof, bei der Agentur WortLautRuhr, durch deren Veranstaltungen im Poetry Slam- und Literaturbereich im ganzen Ruhrgebiet ich viele liebe Leute kennen lernen durfte, bei allen Autor:innen die ich in der Zeit ins Literaturhaus Dortmund einladen konnte und allen Freund:innen die dabei zugeschaut haben. Und bei allen Menschen, die in Kneipen, bei Veranstaltungen oder auf Twitter auf meine Crowd-Recherchen angesprungen sind und ihre Funfacts zum Ruhrgebiet beigesteuert haben.
Und ich wünsche vor allem auch meinem Nachfolger, dem Autor Alexander Estis alles Gute und viel Spaß mit dieser wunderbaren Stadt!
Der Roman zum Aufenthalt folgt und wird hoffentlich auch in Dortmund präsentiert.
Bis dahin, schlaft nicht auf dem Förderband ein!
Glück auf!