In welcher Heimat lebten wir damals?
Ich habe längere Zeit in meiner Kindheit in Dortmund-Hörde verbracht. Dort war man nach dem Abendessen gleich müde und nach dem Baden nie sauber. Die Männer tranken, und der Himmel hing tief bis auf die Wäsche im Garten hinab an manchen Tagen. Rote Flecken explodierten im Dunkeln über dem Hochofen und zogen sich rasch wieder zusammen, als täte ihnen etwas weh. Thomasbirne, sagten die Frauen und holten die Wäsche rein. Sie wohnten ganze Tage in ihren Morgenmänteln, und die Männer wohnten in ihren Frauen und rochen sie nicht mehr. Die Kinder liefen mit Nasenbluten zur Tür hinein und hinaus, bis sie auch Männer und Frauen waren. Sie zogen in ein gleiches Haus, gleich daneben, mit Zimmern klein wie Fischdosen. Zwischen Ehebett und Kleiderschrank schlängelten sie sich im Seitwärtsschritt zur Liebe.
Das war die Liebe? Von Oktober bis April lag in der Ritze zwischen den Betten eine zur Wurst gerollte Wolldecke auf Besuch gegen Luftzug von unten. Die Frauen gewöhnten sich an das frühe Sterben ihrer Männer und schauten sich zu deren Lebzeiten nach dem nächsten um. Als seien sie nicht auf Arbeit an die Kohle geraten, sondern dort gewachsen, so sahen die Männer aus, alle. Die Männer gehörten in die Stollen, ihre Frauen und Kinder zogen sie mit an den Rand der Grube.
Dieser alte Raum ist verschwunden, auch wenn die Häuser am Winterberg und Sommerberg noch stehen, wo jeder, egal ob er aus Oberschlesien, vom Peloponnes, dem Balkan oder aus Anatolien kam, ja, wo jeder, der Arbeit suchte, Mitglied dieses Inselstammes Hörde werden konnte, in dessen Zentrum eben nichts anderes als diese Arbeit stand – die Zeche, der Hochofen, das Werk.